„Was war ihr größter Misserfolg?“
Das ist eine Frage, die viele Bewerber im Vorstellungsgespräch hören. Als Antworten werden aber zu über 90 % Fehler genannt – und das ist auch zunächst gut so.
Wenn ich meine Klienten frage: „Was war denn ihr größter Misserfolg?“ Dann kommt in aller Regel erst mal nichts. Dann setzt eine längere Phase des Überlegens ein und dann kommt die Antwort, sehr viel häufiger bei Männern als bei Frauen: „So einen richtig großen Misserfolg hatte ich nicht wirklich.“
Auf mein Nachfragen folgen dann Antworten wie:
„Ich habe mal, gegen guten Rat, den falschen Mitarbeiter eingestellt, das hat uns X tausend Euro gekostet.“ oder „Ich habe mal das Material zu spät bestellt und die Produktion stand für drei Tage, was uns X tausend Euro gekostet hat.“ etc.
Das sind jedoch alles Fehler und keine Misserfolge.
Es kann jedoch förderlich sein, den Unterschied zwischen Fehler und Misserfolg zu kennen. Um einen für die eigene Persönlichkeit und zum anderen für den Fall, dass der Interviewer ebenfalls den Unterschied kennt und thematisiert, was in einem Assesment-Center mit hoher Wahrscheinlichkeit passiert.
Die Frage ist ähnlich wie die Frage nach Ihrer größten Schwäche und hat ein ähnliches Ziel: teils Verunsicherung, teils ehrliches Interesse, aber vor allem Ihr Umgang damit sowie was Sie daraus gelernt und umgesetzt haben. Bei dieser Art von Frage, die Ihre Identität und Ihr Ego direkt berühren, ist ausweichen, relativieren oder gar verweigern kein Zeichen von Stärke oder einer reflektierten Persönlichkeit.
Denken Sie an Steve Jobs, der sagte: „Das größte Glück war mein Rauswurf bei Apple“. Denn als der Schock verarbeitet war, nahm seine Karriere erst richtig Fahrt auf und bescherte uns Technologien, die die Welt verändert haben. Denn nicht nur in Management-Positionen ist bei stetig steigender Innovationsgeschwindigkeit, mit hohem Disruptionspotenzial, Misserfolgstoleranz und Resilienz gefordert.
„Ich habe mehr Menschen kapitulieren als scheitern, sehen!“ Henry Ford
Die Kapitulation ist die Angst vor dem Misserfolg. Die Umkehr ist, in Abgrenzung dazu, die Einsicht, den Weg mit gleicher Intensität fortzusetzen, jedoch in anderer Richtung. Die Angst vor dem Erfolg, die Methatesiophobie, ist die Angst im Rampenlicht zu stehen und den vermeintlichen Anforderungen nicht gerecht zu werden.
Auch wenn die Differenzierung fließend ist, so liegt der Unterschied zwischen Misserfolg und Fehler in der Absicht, der Zeit und in der Wirkung auf die eigene Persönlichkeit.
Upps, da habe ich doch auf den falschen Knopf gedrückt! Auf den roten Knopf statt auf den grünen und aus Versehen ist das Atomkraftwerk explodiert! Sehr stark vereinfacht, aber so geschehen in Tschernobyl im April 1986. Das war ein Fehler, wenn auch mit dramatischen Konsequenzen. Ein GAU, aber ein Unfall eben.
Der Unterschied zum Misserfolg ist die Absichtslosigkeit bei einem Fehler. Auch, wenn die Tragweite und die Folgen eines Fehlers immens sein können. Wenn ich mit Absicht bei Rot über die Ampel gehe und einen Unfall erleide, dann war das immer noch ein Fehler, den Unfall zu erleiden, war nicht meine Absicht. Ein Fehler passiert plötzlich und unerwartet. Auch, wenn ich im Nachhinein, also retrospektiv die Ursache identifizieren und im besten Fall abstellen kann. „Aus Fehlern wird man klug!“, oder „Dummheit ist es, einen Fehler ein zweites Mal zuvor zu begehen!“ sagt dazu der Volksmund.
Verursache ich aber in voller Absicht einen Schaden durch falsches Handeln, so ist das kein Fehler, sondern ein Erfolg im Sinne meines Vorhabens. Deshalb haften Sie auch für die Konsequenzen ihrer Absicht. Die Rechtsprechung kennt zudem den Tatbestand der groben Fahrlässigkeit, dass sie vorsätzlich alles unterlassen haben, einen zu erwartenden Schaden zu vermeiden.
Bei einem Misserfolg gab es hingegen eine positive Absicht, die Erfolgsabsicht.
Ich wollte mein Studium beenden, ich wollte Karriere machen, ich wollte mir einen neuen Job suchen, ich wollte meine Partnerschaft positiv gestalten, ich wollte meinen BMI unter 25 halten, ich wollte in eine schöne Gegend ziehen, usw. – bin aber gescheitert. Meine positive Erfolgsabsicht kann durchaus zu negativen Konsequenzen für andere führen (dazu später mehr).
Doch wo genau liegt jetzt der Unterschied oder die Grenzlinie zwischen Fehler und Misserfolg?
Gerade der Misserfolg in der Karriere kann auf dem Fehler beruhen, den falschen Beruf gewählt zu haben. Was bei einem gewissen Anteil meiner Klienten der Fall ist, weil die Entscheidung damals sehr stark vom eignen Umfeld beeinflusst war.
Gerade das Scheitern – ein anderes Wort für Misserfolg – gegen Ende der beruflichen Laufbahn kann auf dem Fehler beruhen, die Wichtigkeit von lebenslangem Lernen zu unterschätzen.
Der Misserfolg in der Partnerschaft kann auf dem Fehler beruhen, die eigene Karriere über alles andere zu stellen. Der Misserfolg in der Bewerbung kann auf dem Fehler beruhen, verschiedene Rahmenbedingungen und Restriktionen zu überschätzen oder zu unterschätzen. Was ist das Gegenteil von Erfolg? Nicht Misserfolg! Es ist Resignation! Also nach einer Niederlage liegenzubleiben, k.o. zu gehen.
Den Unterschied zwischen Fehler und Misserfolg etwas konkreter formuliert:
Ein Fehler führt, unbeabsichtigt, jetzt zu einem unerwünschten Ergebnis oder Ereignis, auch dann, wenn er erst später sichtbar wird. Ein Misserfolg ist das unerwünschte Ergebnis oder Ereignis einer beabsichtigten Handlung. Ein in der Vergangenheit formuliertes und angestrebtes Ziel wird jetzt verfehlt, das ist der zeitliche Aspekt des Misserfolgs.
„Erfolg ist die Fähigkeit, von Misserfolg zu Misserfolg zu schreiten, ohne die Begeisterung zu verlieren.“ – Winston Churchill
Der Unterschied zwischen Misserfolg und Fehler liegt in der Absicht, der Zeit und in der eigenen Persönlichkeit.
Um die eigene Persönlichkeit in die Unterscheidung von Misserfolg und Fehler einzubinden, lohnt sich ein Blick auf die logischen Ebenen nach Robert Dilts:
Wenn Sie unerwünschte Konsequenzen künftig vermeiden wollen, so lohnt sich die Frage danach, wo genau die Learnings einsetzen sollen. Muss ich auf der Umfeld-, Verhalten- und Fähigkeitenebene ansetzen, oder muss ich auf der ungleich schwerer zugänglichen Werte-, Identität und Sinnebene arbeiten? Oder auf mehreren Ebenen gleichzeitig, genauer gesagt iterativ, um zum gewünschten Ziel zu gelangen? Ihre Antwort auf diese Frage ist mehr als essenziell für den erfolgreichen Verlauf Ihres Lebens!
Sie bedienen ein Gerät unsachgemäß und es geht kaputt. „Meine Güte, bin ich doof, dass mir das passieren konnte!“ Das könnte eine erste Reaktion sein. Damit sind Sie zwar auf der Identitätsebene, doch nur für kurze Zeit. Denn die Konsequenz, oder die Learnings, sind auf der Verhaltens- und Fähigkeitsebene. Sie müssen sich, um künftig das unerwünschte Ergebnis zu vermeiden, die Fähigkeit aneignen, das Gerät sachgemäß zu bedienen.
Sind sie allerdings jemand, der grundsätzlich keine Handbücher oder Gebrauchsanweisungen liest, so könnte eine Intervention auf der Identitätsebene hilfreich sein, insbesondere bei der Bedienung ihres nächsten Atomkraftwerks.
Ist Ihre erste Reaktion bei einem lapidaren Fehler wie folgt: „Immer passiert mir so etwas, ausgerechnet mir, nur mir passiert das immer, ich schaffe das nie.“ Dann sind Sie völlig auf der Identitätsebene unterwegs, auf der auch die Intervention stattfinden muss, was aber den Rahmen hier sprengt. Die Learnings aus einem echten Misserfolg sind hingegen primär auf der Werte- und Identitätsebene zu suchen.
Wenn als Mann Ihre zweite Ehe erfolgreicher verlaufen soll als die erste, dann reicht es möglicherweise nicht aus, dass Sie kochen und bügeln lernen und Ihrer Partnerin in den Mantel helfen. Ein Blick auf Werte wie Treue, Partnerschaft, Liebe, Familie und so weiter und vor allem darauf, welche Position diese Werte in ihrer ganz persönlichen Wertehierarchie einnehmen, hilft weiter. Sehen Sie sich selbst auf der Identitätsebene, unbedingt als Familienmensch und Ehemann oder mehr als „Lonesome Cowboy“? Wie sieht sich Ihre Partnerin? Sind sie kompatibel?
Allerdings sind Veränderungen in der oberen Hälfte der Pyramide ohne Coach oder Therapeuten sehr schwierig und können sehr langwierig bis zu unmöglich sein. Daran liegt auch begründet, dass wir Probleme in der oberen Hälfte der Pyramide bevorzugt mit Mitteln aus der unteren Hälfte der Pyramide zu beheben versuchen.
Hier ein plakatives Beispiel: Für eine signifikante und nachhaltige Gewichtsabnahme reicht es nicht aus, nur das Verhalten zu verändern, also weniger essen und Sport machen. Nachhaltigkeit erreiche ich erst, wenn ich meine Werte in Bezug auf Gesundheit und meine Identität in Bezug auf mein Erscheinungsbild verändere.
Der menschliche Unwillen, auf der oberen Hälfte der Pyramide zu arbeiten, ist ein Milliardengeschäft in Form von Pillen und Shakes, zahlendes Mitglied in Fitnessclubs sowie von Wunderdiäten, die allesamt zum bekannten JoJo-Effekt führen und letztlich das Problem verschärfen. Das ist aber wieder ein anderes Thema.
Dennoch ist ein vergleichbares Phänomen auch bei der beruflichen Neuorientierung zu beobachten.
Die Weigerung, die Fähigkeit zu erwerben, eine handwerklich gut gemachte Bewerbung zu erstellen.
Die Weigerung, die Fähigkeit zu erwerben, mit verkäuferischen Mitteln am Arbeitsmarkt für die eigene berufliche Zukunft einzutreten.
Die Weigerung, das persönliche Umfeld zu verändern, um der eigenen Zukunft eine Chance zu geben.
Die Weigerung, nach mehr als einem Jahr Arbeitslosigkeit und 100 und mehr erfolglosen Bewerbungen sein Verhalten zu ändern und nach Unterstützung zu suchen.
Alles das ist die Angst vor der Konfrontation des Selbstbildes mit dem Fremdbild. Dem berühmten Ego sträuben sich dabei die Nackenhaare und es tut alles dafür, damit genau das nicht passiert. Natürlich macht man sich als Coach keine Freunde, wenn man den Finger tief in die Wunde legt und unmissverständlich zum Ausdruck bringt: Wir müssen über deine Werte und Identität reden, wenn du dein Ziel wirklich erreichen willst!
Jetzt geht es nur noch um die Frage, welcher Schmerz ist größer? Mein Ego zu überwinden oder mein Ziel aufzugeben? Beides wenig attraktiv. Die Ablehnung dagegen ist ein wenig so, wenn mir die Diagnose, die der Arzt mir stellt, nicht gefällt und ich ihn bitte mir doch eine andere zu nennen. Die am wenigsten effiziente und doch am häufigsten gewählte Entscheidung ist: Weitermachen wie bisher.
Jede:r hat natürlich das Recht, sich ins Knie zu schießen. Dennoch möchte ich dringend davon abraten. So heißt es auch in dem bekannten Satz von Albert Einstein: „Die Definition von Wahnsinn ist immer wieder das Gleiche zu tun und jeweils andere Ergebnisse zu erwarten.“
Was nützt es mir, wenn ich nach über einem Jahr Arbeitslosigkeit und 100 oder mehr nicht erfolgreichen Bewerbungen, die Anstrengung und die Schlagzahl erhöhen? Rational lautet von jedem natürlich die Antwort: Nichts!
Doch wir sind hier emotional unterwegs und einer der stärksten Emotionen ist Angst. Unabhängig vom Bildungsgrad übrigens kommt es unter dem Einfluss von Zukunftsängsten, Verlustängsten und enttäuscht im Vertrauen, zu sehr nachteiligen Entscheidungen, für den Bewerber. Doch die alles entscheidende Frage ist: „Wer bist du und wer willst du sein?“
Echte Misserfolge deuten darauf hin, dass aktuell eine große Differenz, zwischen dem, der ich bin und dem, der ich sein will, vorliegt. Viel Leid und Enttäuschung lässt sich vermeiden, wenn wir unser Ego überwinden und den Mut aufbringen, genau dorthin zu schauen. Allerdings betrachten viele diesen Schritt als Schwäche, als eine Form des Aufgebens.
„Wer das wozu kennt, kann jedes wie ertragen“ frei nach Nietzsche.
Doch jetzt möchte ich die Flughöhe wieder reduzieren und komme zurück zum Vorstellungsgespräch. Das Nennen von echten Misserfolgen sollte in der Tat wohlüberlegt sein, da es einen tiefen Einblick in Ihre Persönlichkeit bietet. Dass Sie Ihre Partnerwahl bereuen, dass die sechsmonatige stationäre Therapie Sie wirklich weitergebracht hat oder Ähnliches gehört eher zu den Themen, die Sie wohl überlegen, bevor Sie das nennen.
Der Kluge weiß, was er sagt, der Dumme sagt, was er weiß und der Weise weiß, wann er besser schweigen sollte.
Zum Schluss. Ich habe hier zwei Komplexe vermischt, weil sie auf der gleichen Basis beruhen.
Zum einen, dass sie bestens vorbereitet in ein Vorstellungsgespräch gehen und auch auf Fragen, die viele als eher intim erachten, eine gute Performance abliefern. Zumal im Wandel von der autoritären Führungskraft hin zum Coach der Mitarbeiter Resilienz wie auch Reflexionsfähigkeit verlangt wird. Oder andersherum formuliert, Soft Skills haben gerade in Führungspositionen ein höheres Gewicht als Hard Skills und sind somit entscheidend.
Zum anderen, dass, wenn sie erkannt haben, dass die Strategie des „mehr vom Gleichen“ sie nicht zum Ziel führt, sie nun wissen, wo sie möglicherweise ansetzen können, um doch noch zum Ziel zu gelangen.